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Thema: LML ist nicht die Ikone der Bürgerlichkeit

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    Intelligent Input Darling
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    Standard LML ist nicht die Ikone der Bürgerlichkeit



    (Das Folgende ist ein Text, den ich in den letzten Wochen geschrieben habe, weil ich mich immer wieder über die ständig wiederholte Behauptung geärgert habe, Lenas Erfolg beruhe darauf, eine bürgerliche Mittelschicht-Antifigur zum DSDS-Proletariat zu sein. Wenn man das schon zu widerlegen versucht, dann richtig. Das Ergebnis ist eigentlich viel zu lang für einen Post hier. Ich entschuldige mich dafür, weiß aber nicht, was ich sonst damit anfangen soll. Es muss ja niemand lesen! Vielleicht gibt es aber welche, die etwas Interessantes daran finden. Viele der Gedanken in dem Text verdanke ich Anregungen aus diesem Forum. Dafür vielen Dank!)

    I.
    Der außergewöhnliche Aufstieg Lena Meyer-Landruts – von der anonymen Abiturientin zum derzeit größten Popstar des Landes innerhalb von nur drei Monaten – schreit nach Deutung und Erklärung. LML besitzt etwas, das bei den Deutschen offensichtlich den Reflex auslöst, sie - je nach Alter – auf der Stelle als große Schwester, beste Freundin, Traumfrau oder Wunschtochter adoptieren zu wollen. Klar ist, dass LML bildhübsch ist, dazu klug, schlagfertig und witzig, dass sie guten Geschmack in Musik- und Kleidungsfragen beweist und mehr als passabel singt und tanzt. In erster Linie besitzt sie ein außergewöhnliches Talent zur vokalen und gestischen Inszenierung der Lieder, die sie singt, mit dem sie auch aus mittelmäßigem musikalischen Material Funken schlägt. Dennoch: Diese und ähnliche Fähigkeiten besitzen viele Menschen. Das allein erklärt nicht die Stärke der Empfindungen zwischen Bewunderung, Sehnsucht und Verliebtheit, die LML entgegen gebracht werden.

    II.
    Auf der Suche nach dem fehlenden Element zur Erklärung der Lenamania hat sich eine Erzählung etabliert, die LML als Projektionsfläche einer Sehnsucht des Publikums nach „Normalität“ und „Anstand“ im TV- und Musik-Business sieht: Lena als der „Popstar fürs Bürgertum“. Diese Erzählung entstand mit einem Spiegel-Beitrag, in dem Unser Star für Oslo als kultiviertes Musizieren für Abiturienten und Studenten vor einer seriösen Fachjury bespöttelt und als Gegenveranstaltung zur Trash-Konkurrenz von Deutschland sucht den Superstar charakterisiert wurde, wo gescheiterte Existenzen aller Art zu den vulgären Kommentaren eines Dieter Bohlen in Gladiatorenkämpfe gehetzt werden. Zum Sinnbild dieser Gegenüberstellung wurde der typisierte Vergleich zwischen den beiden jeweiligen Show-Favoriten: Hier der Freak Menowin Fröhlich, abschluss- und arbeitsloser, mehrfach vorbestrafter Ex-Sträfling, der drei Kinder mit der eigenen Cousine hat, schrill, bedrohlich und trashig - dort die Lichtgestalt Lena Meyer-Landrut, Abiturientin aus gutsituiertem Hause, Diplomatenenkelin, Taizé-Begeisterte, „Sophies Welt“-Leserin, gebildet, eloquent und distinguiert. Dieser Erzählung zufolge ist LMLs Erfolg darauf zurückzuführen, dass sich die silent majority des bürgerlichen Mittelstandes mit ihr identifizieren kann und sie in erster Linie als Inkarnation des eigenen Idealbildes einer Höheren Töchter liebt, als Gegenfigur zum skurrilen Freakproletariat, das die Nachmittagstalkshows bevölkert. Diese Erzählung ist seit ihrer Entstehung in medialer Dauerschleife wiederholt worden (zuletzt in der großen, mehrseitigen Reportage des Stern) und hat sich im Diskurs über LML mehr oder weniger als die offizielle Deutung ihrer Geschichte durchgesetzt.

    III.
    Die soeben umrissene Erzählung – ich nenne sie die Höhere-Tochter-Erzählung (HTE) – funktioniert, um es kurz zu machen, als Erklärung des Erfolgs von LML vorne und hinten nicht. Darum geht es mir hier. Zunächst ist LML nicht die Figur, als die sie in der Erzählung auftaucht. Das hätte man von Anfang an wissen können, hätte man auf die Details geachtet, die sich mit ihr schlecht vertrugen. Höhere Töchter – auch exzentrische – haben keine Tattoos und keine Zahnpiercings. Sie tanzen Ballett, nicht Hip-Hop. Sie geben nicht fröhlich zu, mittelmäßige Schülerinnen zu sein, auch fahren sie TV-Urgesteinen nicht rotzfrech über den Mund und sagen nicht ständig „scheiße“ und „kotzen“ live im Fernsehen. Der Widerspruch zwischen HTE und Realität wurde völlig offensichtlich, als durch das unappetitliche Wühlen der Boulevardmedien weitere Details bekannt wurden: Ein so überhaupt nicht distinguierter untergetauchter Vater, die nebenbei geäußerten Bekenntnisse, zu rauchen und auch schonmal besoffen gewesen zu sein, vor allem aber natürlich die Auftritte als Laiendarstellerin in genau jenen dubiosen Nachmittags-TV-Formaten, in die LML sich nach der HTE niemals hätte verirren dürfen, davon einer sogar – Gott behüte – ganz und gar nackt. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war das Höhere-Tochter-Image von LML als reine Erfindung der Medien enttarnt. Wenn die HTE zuträfe, hätte daher zu diesem Zeitpunkt die Lenamania zusammenbrechen und ein Großteil der Deutschen sich enttäuscht von LML abwenden müssen. (Und mit genau diesem Ziel wurden die entsprechenden Medienberichte natürlich auch lanciert.) Tatsächlich aber haben all die rechten Haken gegen das Höhere-Tochter-Image der Verliebtheit des Publikums keinen messbaren Abbruch getan. Was das Bürgertum bei seinen eigenen Töchtern zweifellos stören würde, stört es bei LML offenkundig kaum. Also liebt es LML offensichtlich nicht als sein eigenes Spiegelbild, wie die HTE behauptet. Was immer also der Grund für die Lenamania ist: Die HTE kriegt ihn nicht zu fassen.

    IV.
    Dabei beruht die HTE auf einer richtigen Beobachtung: LML ist eine Gegenfigur zu all den hunderten Kandidatinnen und Kandidaten, die wir im letzten Jahrzehnt in Dutzenden von Casting Shows im Fernsehen haben vorbeiziehen sehen. Das Phänomen LML ist zweifellos darin begründet, dass sie in dem Rahmen, in dem sie zur öffentlichen Person wurde, so vollständig aus dem Rahmen fiel. Aber es ist schlecht beobachtet und ziemlich primitiv gedacht, ihre Andersartigkeit schlicht darin zu sehen, dass sie der bürgerlichen Mittelschicht entstammt, während das Personal einer Show wie DSDS eher den bildungsfernen Schichten entspringt. Dieser Unterschied hat, wenn überhaupt, mit dem eigentlichen Phänomen nur indirekt etwas zu tun.

    V.
    LMLs Andersartigkeit besteht vielmehr in dem, was Entdecker und Mentor Stefan Raab schon vom ersten Moment an als ihre „Haltung“ bezeichnete. Worin besteht diese Haltung? Sie besteht darin, die Gehirnwäsche zu durchbrechen, die das Format Casting-Show seit über einem Jahrzehnt betreibt und mit der es nicht nur unsere Wahrnehmung von Popmusik infiziert hat. Nicht umsonst spricht man inzwischen von einer „Generation Casting-Show“, welche die in diesem Genre üblichen Prinzipien und Regeln längst für das ganze Leben akzeptiert und verinnerlicht hat. Worin besteht das Prinzip Casting Show? Das lässt sich in jeder beliebigen dieser Sendungen – ob nun DSDS oder Germany’s Next Topmodel – mühelos beobachten. Regel Nr. 1: Der Weg zum Erfolg besteht darin, sich der Jury vollständig zu unterwerfen. Die Jury ist Gott. Sie agiert nach dem Prinzip, dass der Wille des Kandidaten zunächst gebrochen werden muss, damit er sich den Anweisungen der Experten vollständig ausliefert und sich von ihnen formen lässt. Du sollst nicht so sein, wie Du selbst Dich haben willst, sondern wie andere Dich haben wollen. Es gibt daher keinen sichereren Weg, im Casting-Universum den sozialen Tod zu erleiden, als an der Jury Kritik zu üben, ihre Anweisungen zu hinterfragen oder auf eigenen Vorstellungen zu beharren. Beleidigung, Erniedrigung und aufgezwungene Demuts-Rituale sind die unvermeidliche Folge. Regel Nr. 2: Der Weg zum Erfolg besteht aus Blut, Schweiß und Tränen und in dem bedingungslosen und fanatischen Willen, ihm alles andere unterzuordnen. Dies ist die wichtigste Botschaft der Casting-Show. Deshalb gibt es in ihren Beurteilungsritualen keine vernichtenderen Abmahnungen als „Du arbeitest nicht hart genug an Dir“ oder „Wir können nicht erkennen, dass Du das hier wirklich willst“. Die Kandidatin kann diesen Verurteilungen nur entkommen, indem sie sich so lange schindet, bis sie auf offener Bühne kollabiert oder wenigstens einen Weinkrampf erleidet, und außerdem in den immergleichen Floskeln gegenüber der Jury beteuert, dass sie bereit ist „alles zu geben“ für den Erfolg in der Show, dass sie „nichts anderes will als kämpfen und weiterkommen“ und überhaupt diese Sendung ihre „einzige und letzte Chance“ sei, etwas aus sich zu machen. In den Schauritualen von DSDS und GNTM gibt es deshalb kein den Kandidaten häufiger abgepresstes Bekenntnis als dieses. Es gehört zwingend dazu. Mit selbstbewussten Kandidaten, die einfach lachend gehen, wenn sie genug davon haben, sich anpöbeln zu lassen, weil sie nämlich noch etwas anderes mit ihrem Leben anzufangen wissen, funktioniert das Konzept der Sendung nicht.

    VI.
    LMLs „Haltung“ ist die vollständige und radikale Antithese zu den beiden genannten fundamentalen Grundregeln der Casting Show. Sie besteht in der Weigerung, sich von den Unterwerfungs-, Leistungs- und Wettkampf-Imperativen dieses Formats bestimmen zu lassen. Berühmtheit hat sie unter anderem damit erlangt, dass sie schon bei ihrem ersten Auftritt gegen Regel Nr. 1 verstieß und darauf bestand, lieber auszuscheiden anstatt nicht den von ihr selbst präferierten Song zu singen. Insbesondere aber verstößt LML in praktisch jedem ihrer Interviews konsequent gegen Regel Nr. 2. Unbedingter Siegeswille, so sagte sie schon zu USFO-Zeiten und wiederholt es gegenwärtig anlässlich des Eurovision Song Contest immer wieder, sei ihr fremd. Jedes Ergebnis sei ihr recht, solange sie mit sich im Reinen sein. Konkurrenzdenken und Kampf um die Plätze auf dem Podest seien „nicht so ihr Ding“, ebenso wenig wie hartes Training und tägliches Üben. Sie schlafe lieber. Sie habe keine Technik, keine Strategie und nicht die Absicht, sich eine andrehen zu lassen. So tanz’ ich. Sie entwickele die Dinge lieber spontan und ohne große Überlegungen und Strategien. Überhaupt habe sie nie Popstar werden wollen, und ihr „großer Traum“ sei das schon gar nicht. Vielleicht mache sie bald etwas völlig anderes, an Ideen mangele es ihr nicht. Wichtig sei nur, dass ihr das Ganze momentan Spaß mache, eine tolle Erfahrung sei und sie als Mensch voranbringe. Man beachte: Jeder einzelne dieser Sätze wäre im TV-Leben eines normalen Casting-Produktes das Ende.

    VII.
    Gibt es einen Namen für diese Haltung? Ich behaupte: Ja. Sie ist nämlich überraschenderweise in überhaupt keiner Weise revolutionär oder neu. In Wahrheit ist sie bloß die fast triviale Erinnerung an die Haltung, die man noch nicht vor allzu langer Zeit grundsätzlich mit der Popmusik verbunden hat – bevor der Casting-Show-Diskurs die Kontrolle übernahm, und zwar so erfolgreich, dass man mit der bloßen Erinnerung an dieses Prinzip des Pop (ich benutze diesen Begriff hier in einem sehr weiten Sinne, der die gesamte populäre Musik von Folk über Rock, elektronische Musik, Heavy Metal und was weiß ich einschließt) inzwischen wie ein Wesen von einem anderen Stern erscheint. Denn das war doch das Versprechen der Popmusik seit ihrem Durchbruch in den frühen sechziger Jahren: Jung sein. Lässig sein. Cool sein. Feiern und Spaß haben. Und die Chuzpe zu sagen: Ich brauche Eure Lehren nicht. Ihr habt mir nichts beizubringen. We learned more from a three-minute record baby than we ever learned in school. Keine Gesangausbildung, kein Musikstudium, kein Tanzdrill, keine Arbeit. Eine Gitarre und drei Akkorde, das reicht – sofern man jung ist, und schön, und talentiert, und charismatisch. Und frech genug, sich einfach auf eine Bühne zu stellen und zu singen: I know it’s only rock’n’ roll, but I like it! Pop war mal das Gegenteil dessen, was die Casting-Show-Idee verkauft: das Versprechen vom Triumph der Leichtigkeit und der Mühelosigkeit. Nur Arbeit, Unterwerfung, Anpassung und Drill führen zum Erfolg im Musikbusiness? Gut, dass das niemand den Rolling Stones gesagt hat, als sie Exile on Main Street in einem mehrmonatigen halbnackten Dauerdrogenrausch in Südfrankreich zusammensponnen. Von dem Lachflash hätten sich die Armen nie wieder erholt. Der Erfolg von LML entlarvt den gesamten Diskurs des Casting-Unwesens als das, was er ist: hochideologisiertes absurdes Theater.

    VIII.
    Darum sage ich, mit Absicht plakativ: LML ist nicht die Ikone der Bürgerlichkeit. Sie ist die (sehn-)süchtig machende Erinnerung an das Glücksversprechen des Pop, verkörpert in dem Gesicht einer Caravaggio-Madonna mit ironischem Grinsen und frechem Mundwerk. Und dieses Glücksversprechen ist, dies ist der entscheidende Gedanke, zutiefst antibürgerlich und subversiv. Bürgerlich ist nämlich nicht nur das, was sich die Vertreter der HTE gerne darunter vorstellen (etwas, das vage mit geregelter Arbeit, Bücherregalen, Klavierunterricht und gepflegtem Abendessen im Familienkreis zu tun hat). Bürgerlich ist in erster Linie der Glaube an ein ganz anderes Versprechen, nämlich an das der disziplinierten Selbstzucht in Kombination mit dem Prinzip der Leistungsgerechtigkeit. Jeder ist seines Glückes Schmied und diejenigen werden den Lohn davontragen, die sich am meisten anstrengen, am fleißigsten schuften und am eisernsten sparen – und schon ihre dreijährigen Kinder in Chinesischkurse schleifen, der späteren Chancen am Arbeitsmarkt wegen. Das Glücksversprechen des Pop hingegen ist die Verweigerung dieses protestantischen Arbeitsethos. Pop scheißt auf Selbstdisziplin und Leistungsgerechtigkeit. Er belohnt nicht die Arbeitsbienen und die Klassensprecher. Er verschenkt sein Herz lieber an die arbeitsscheuen Spinner, genialen Dilettanten und verspielten Prinzessinnen, die es einfach mal ausprobieren. Pop kennt und will keine andere Begründung als die, dass eine wie LML schlicht ein Liebling der Götter ist, der die Herzen der Menschen zufliegen, ohne dass sie darum kämpfen muss. Du hast Star-Appeal. Menschen werden dich lieben. Das ist alles. Das kann man nicht lernen. Man hat es oder man hat es nicht. Daher können die, die es haben, es sich leisten, mit ihren Gaben gerade nicht nach Art der guten Wirtschafterin sparsam hauszuhalten, um sie zu mehren, sondern sie in geradezu aristokratischer Verschwendung zu verschenken. Sich nicht ängstlich an die Regeln zu halten, sondern in Freiheit mit ihnen zu spielen, Risiken einzugehen. Nicht die eigenen Fähigkeiten penibel zu dokumentieren, sondern sie zu ironisieren, damit herumzualbern, scheinbar nichts ernst nehmend – während die Braven, die sich das alles mühevoll angeeignet, eisern geübt und schwer gekämpft haben, fassungslos daneben stehen und die Ungerechtigkeit der Welt nicht mehr verstehen. Bei manchen kippt diese Verständnislosigkeit in ungezügeltes Ressentiment und Hass auf das Glückskind, oder in wüste Verschwörungstheorien.

    IX.
    Schlusspointe: Wenn diese Überlegungen zutreffen, dann ist nicht die angebliche Bürgerlichkeit von LML der Kern ihrer Anziehungskraft, sondern das Gegenteil davon. Die Sehnsucht, die LML weckt, ist nicht die Sehnsucht nach Bürgerlichkeit, sondern das Versprechen, dass – wenigstens stellvertretend in ihrer Person – die Befreiung vom Korsett der Bürgerlichkeit möglich ist. Deshalb träumen so viele laut oder leise davon, so zu sein wie sie – und schon allein diesen Traum träumen zu können, indem man sie beobachtet, führt ein Stück des Glücks mit sich. Wenn das Bürgertum LML liebt, dann nicht deswegen, weil sie genauso ist, wie es selbst, sondern weil es sich heimlich danach sehnt, ganz anders zu sein, als es ist. Allerdings kommt es noch schlimmer für die Anhänger der HTE, denn die ganze Überlegung zeigt noch ein Zweites: Wenn es überhaupt eine Verkörperung des Bürgerlichen im deutschen Fernsehen gibt, dann sind das ironischerweise eben die just von jenem Bürgertum so verachteten proletigen Casting-Shows. Als Dieter Bohlen verkündete, der von ihm nicht favorisierte Mehrzad Marashi habe DSDS dank „deutscher Tugenden“ (er meinte Fleiß und Disziplin) gewonnen, hätte er damit um ein Haar einmal etwas Wahres gesagt. Begriffen hat er es natürlich nicht. Das deutsche Feuilleton, das muss man leider anmerken, allerdings auch nicht.

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    Standard AW: LML ist nicht die Ikone der Bürgerlichkeit

    Lieber jupmartinelli,
    ich danke dir für diese großartige Analyse. Sie stellt für mich alles in den Schatten, was Zeit, SZ oder FAZ bisher an Erklärungsversuchen angestellt hat. Besonders deine Rückerinnerung an die Ursprünge des pop/rock: Dass da noch keiner drauf gekommen ist - umwerfend!
    Wenn da nicht noch eine Magie wäre, die weder erklärbar noch analytisch greifbar ist, würde ich nach deinem Artikel sagen: Danke. Es ist alles gesagt, was gesagt worden ist. Dem ist nichts hinzuzufügen.
    Ich hoffe, dieser Beitrag schafft den - mehr als verdienten - Weg ins ernstzunehmende deutsche Feuilleton.
    Chapeau.

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    Akutes Lenafieber
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    Standard AW: LML ist nicht die Ikone der Bürgerlichkeit

    Was soll ich dazu noch sagen juppmartinelli?
    Du hast mit deinen Beobachtungen zu 100% recht.

    Und beim Durchlesen deiner Gedanken ist mir eines ganz deutlich klar geworden. Und damit meine ich eine Sache, die mir seit dem Urknall des Lenaversums nicht mehr aus dem Kopf gegangen ist.

    Ich habe mich seit Monaten gefragt, wie es Lena geschafft hat mich so locker, lässig zurück zur Musik zu bewegen.

    Früher hatte ich mich ausgiebig mit Musik auseinandergesetzt. Hatte wahnsinnig viel Zeit mit Musik und Liverkonzerten etc. verbracht.

    Seit Jahren ist das Interesse daran immer weiter geschrumpft. Zum einen lag es daran, weil viele meiner Lieblingsbands, Sänger etc. sich aufgelöst hatten, zum anderen lag es daran, dass ich keine neue Inspiration mehr finden konnte.

    Zu gleichtönig, zu schal war die Musik geworden. Eine Übersättigung des immer gleichen Musikstils mit aus der Retorte erschaffenen Künstlern.
    Die Halbwertszeit der aktuellen "Stars" lag bei wenigen Jahren. Echte Superstars waren langsam in die Jahre gekommen.
    Die Inspiration lag bei Null.

    Und so habe ich mich Stück für Stück von der Musik abgewandt und es auf mein Alter geschoben, dass ich mit der aktuellen Musik nichts mehr anfangen konnte. Ich habe quasi meinen Platz für die jüngere Generation freigemacht.

    Und dann kam Lena. Mit genau den Eigenschaften wie du sie beschrieben hast, hat sie mich inspiriert. Mit der Unbekümmertheit ihre Sache durchzuziehen. Mit ihrem hervorragenden Musikgeschmack, der mich auf neue Musikperlen aufmerksam gemacht hat.
    Und seitdem bin ich nicht nur komplett von Lena geflasht, sondern habe auch zurück zur Musik gefunden.

    Und es ist genauso wie du schreibst. Die Künstler, von denen man heute noch spricht, die in der Hall of Fame angekommen sind, sind fast ausschließlich Künstler, die ihr Ding durchgezogen haben. Da kann man Elvis Presley, die Beatles, The Who uvm. anführen. Die haben sich nicht um Gesangsstil, Choreographie usw. gekümmert. Die waren nicht glattgebügelt und sauber frisiert. Nö! Die haben nicht um des Geldes willen Musik gemacht, sondern um ihrer Musik willen.

    Und Lena ist eben auch nicht glattgebügelt und angepasst. Sie will Künstlerin sein um der Kunst willen. Und da sie nicht den Erfolg in den Vordergrund stellt, hat sie Erfolg. Und da sie nicht verkrampft, kann sie ihr Talent zu "Bezaubern" voll und ganz ausspielen.

    Dein Schriftstück ist viel zu schade, dass es hier in einem Thread verschwindet.
    Simon soll nun endlich mal einen Blog freischalten...

    Ganz grosses Kino jupp

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    Standard AW: LML ist nicht die Ikone der Bürgerlichkeit

    Zitat Zitat von bfsdasauge Beitrag anzeigen
    This quote is hidden because you are ignoring this member. Show Quote
    Dein Schriftstück ist viel zu schade, dass es hier in einem Thread verschwindet.

    Genau das finde ich auch. Wir brauche unbedingt eine Rubrik: Perlen des Forums. Und darin muss der Text aber ganz nach oben. Und die Kommentar-Funktion sollte gesperrt werden, denn ich fürchte, jeder kommentierende Blödsinn (wie z.B. meiner hier gerade) verwässert ihn nur unfreiwillig.

  5. zum letzten eigenen Beitrag springen | Top | #5
    tarnkappenträgerin
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    Standard AW: LML ist nicht die Ikone der Bürgerlichkeit

    verdammte axt, war das gut! im allgemeinen fürchte ich mich vor langen beiträgen in fanforen. das ist mir immer mehr als suspekt, aber ich konnte einfach nicht aufhören zu lesen. und zu lesen. und zuzustimmen. und zu nicken. und zufrieden zu brummen:

    endlich hat's mal einer gesagt.

    DANKE!

    für mich ist LML auch eine echte fröhliche kriegsmaschine gegen die phrasendrescher des öffentlichen diskurses mit ihrer kruden mischung aus protestantischer arbeitsethik, schlecht verdauten hollywood-erfolgsgeschichten undwasweißich noch. oder wie mal unter einem der usfo-videos stand (wer hatte das damals geschrieben? sathoan? sie hat etwas, das sich der dummheit widersetzt.

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    Rock-Monster
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    Standard AW: LML ist nicht die Ikone der Bürgerlichkeit

    Danke für diesen Artikel.

  7. zum letzten eigenen Beitrag springen | Top | #7
    ist einfach nur öde
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    Standard AW: LML ist nicht die Ikone der Bürgerlichkeit

    Und wieder wurde ein Stück Literaturgeschichte im Lenaismus geschrieben
    Danke sehr.

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    un admirador
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    Standard AW: LML ist nicht die Ikone der Bürgerlichkeit

    Großartig.
    Gedankensplitter, die ich nur im Ansatz zu diesem ewigen "HTE"-Scheiß zu denken in der Lage war, hast du konsequent zu Ende gedacht.
    Einer der wohl intelligentesten Beiträge in diesem ohnehin recht intelligenten Forum. Danke!

    Für solche Fälle gab es doch ein Smilie, ah ja: :Schild good post:

  9. zum letzten eigenen Beitrag springen | Top | #9
    fgsfds
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    Standard AW: LML ist nicht die Ikone der Bürgerlichkeit

    Absolut treffender Beitrag. Ich hatte auch immer große Probleme mit diesem "Höhere Tochter"-Bezug, weil er für mich im Bezug auf Lena irgendwie stark unter Sinnbefreitheit litt aber konnte es wohl nie so schön in Worte fassen wie du.
    Ich denke schon dass eine gewisse intellektuelle Diskrepanz zwischen den unterschiedlichen Castingformaten zu erkennen ist und diese sich recht schnell an der ungeschickten Verhaltensweise von den üblichen DSDS/Popstars-Gewinnern erkennen lässt, die sich zu ungünstigen Aussagen hinreißen lassen/sich selbst nicht treu bleiben weil sie sich zu schnell beeinflussen lassen, während insbesondere eine deutlich jüngere Lena zeigt, wie geschickt man doch eigentlich mit Allem umgehen kann und trotz Berühmtheit keinerlei elitäre Züge aufweist.
    Aber Lena als Stern des gehobenen Bürgertums o.Ä. zu preisen rechtfertigt dieser reifere Umgang mit den Medien ja noch lange nicht, und verfehlt das Phänomen Lena Meyer-Landrut um Längen.
    Ich finde die einzige Veränderung im Bezug auf Medien bei Lena war, dass sie nun in Interviews sicher ist/schneller die passenden Antworten findet, aber im Gegensatz zu so vielen anderen nicht ihren Charme und ihre Art für die man sie liebt verloren hat.

    Aber ich glaube vielen Fans und wahrscheinlich selbst Lena war bewusst, dass diese Artikel irgendwie fernab von treffend waren, man hat sie aber wohl erst einmal vorerst so hingenommen, weil sie mit Lob überfüllt waren, und somit angenehme Lesekost zu sonst einseitig recherchierten Hasstiraden gegen Castingshowteilnehmer

  10. zum letzten eigenen Beitrag springen | Top | #10
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    Standard AW: LML ist nicht die Ikone der Bürgerlichkeit

    Jaaaa, genau. Endlich hat einer das zu Papier gebracht, was die meisten von uns zumindest unterschwellig schon gewusst haben. (Oder wer hier hat beim Lesen des Textes nicht ständig zustimmend genickt)

    Vor allem zeichnet Deinen Artikel aus, das Du mit sehr wenig Vergleichen arbeitest, und viel mehr auf das schaust, was Lena wirklich tut oder getan hat. Das muss und kann eben nicht verortet werden, weil es originell, individuell und unangepasst ist.

    Damit wäre dann jetzt hiererorts auch Stefan Raabs Frage, warum er das so geil findet abschließend beantwortet.
    Und trotzdem bleibt so unendlich viel Raum für Lenas Zauber und Magie, weil man eben nie weiß, worüber sie als nächstes ironisiert und herumalbert.


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    Standard AW: LML ist nicht die Ikone der Bürgerlichkeit

    Glückwunsch! Soweit ich es überblicke in der Tat der wohl beste Artikel bisher zum Phänomen LML. Das wohl auch deshalb, weil er nicht wie die Zeitungsartikel mit der heißen Nadel gestrickt wurde und weil er – wie mir scheint - das Phänomen LML nicht versucht auf eine einfache Formel zu bringen. Wer ein Geheimnis vollständig erklärt zerstört es!

    Über das „antibürgerlich“ könnte man, wenn auch nicht hier im Thread, sicher – produktiv – streiten, weil ich z.B. auch Caravaggio als bürgerlich ansehen würde. Für mich steht deshalb das „Glücksversprechen des Pop“ nicht im völligen Gegensatz zu dem frühbürgerlichen Glücksverspechen der Renaissance und der Romantik. Da müsste man vielleicht einige Unterscheidungen vornehmen. Gemessen an der gegenwärtigen Gestalt des „Bürgerlichen“ stimme ich Dir voll und ganz zu!

    :Schild good post:

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    Standard AW: LML ist nicht die Ikone der Bürgerlichkeit

    meine Güte was für eine Analyse! Man ließt sie und denkt bei jedem Absatz ja ..ja ...ja. Das Teil muss in die Öffentlichkeit. Mehr als verdient mach was draus!!

    Respekt

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    Standard AW: LML ist nicht die Ikone der Bürgerlichkeit

    "Intelligent Input Darling" steht in deinem Benutzertitel.
    Deine Analyse beweist wohl perfekt das das für dich nicht einfach nur ne Floskel ist.
    Sehr schöner Text bei dem man, wie schon angesprochen, aus dem zustimmenden Nicken nicht mehr rauskam. Hammer!

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    Richtig böser Lenafan
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    Standard AW: LML ist nicht die Ikone der Bürgerlichkeit

    juppmartinelli, ein wirklich guter Beitrag!

    Was Du am Lena-Phänomen herausarbeitest, dem kann ich nur zustimmen.
    Allerdings - o Schreck?, o Scherz? - finde ich, daß es die "Höhere-Tochter-Erzählung" eher unterstreicht, nicht widerlegt.
    Das hängt natürlich daran, was man unter Bürgerlichkeit versteht, und das ist, das sollte klar sein, eine komplexe und teils auch widersprüchliche Sache.
    Was Du im Auge hast, das ist eher die Aufsteigersicht (Disziplin, bis hin zum glattgebügelten Karrieristen). "Höhere Tochter", das setzt aber gerade an einem anderen Punkt an, den besser gestellten Bürgern, die sagen nämlich: wir können es uns erlauben, lässig zu sein, Geschmack zu haben ... Abrackern, Konkurrenzdenken, Unterwerfung für den Aufstieg, das müssen nur die, die es noch nicht geschafft haben! Der Proletarier oder Kleinbürger muß schuften, wir haben einfach das Talent. Deshalb können wir ironisch lächeln!


    Höhere Töchter – auch exzentrische – haben keine Tattoos und keine Zahnpiercings. Sie tanzen Ballett, nicht Hip-Hop. Sie geben nicht fröhlich zu, mittelmäßige Schülerinnen zu sein, auch fahren sie TV-Urgesteinen nicht rotzfrech über den Mund und sagen nicht ständig „scheiße“ und „kotzen“ live im Fernsehen.
    Das war vielleicht in den 60er Jahren so, aber heute geht eben beides zusammen, das ist ja die Botschaft. Ich würde sogar sagen: genau das ist typisch für die heutige Höhere Tochter!


    LMLs Andersartigkeit besteht vielmehr in dem, was Entdecker und Mentor Stefan Raab schon vom ersten Moment an als ihre „Haltung“ bezeichnete.
    Volle Zustimmung! (Hab ich sogar in der Signatur )
    Aber -- was könnte bürgerlicher sein als Haltung!?!


    ........ ---> Pop war mal das Gegenteil dessen, was die Casting-Show-Idee verkauft: das Versprechen vom Triumph der Leichtigkeit und der Mühelosigkeit.
    Bravo! Wieder ein Treffer ins Schwarze!

    Aber gerade wenn Du das mit Rolling Stones (yeah! ) und Drogenexzessen illustrierst: dann stellt Lena doch exakt die bürgerliche Variante dieses Versprechens dar. Kein Absturz. Kein Schweißgeruch. Kein dreckiges Sex & Drugs & Rock'n'Roll.
    Da atmet der Bürger auf: Man muß sich um das begabte Töchterchen keine Sorgen machen, sie schafft das schon!




    LML ist nicht die Ikone der Bürgerlichkeit. Sie ist die (sehn-)süchtig machende Erinnerung an das Glücksversprechen des Pop, verkörpert in dem Gesicht einer Caravaggio-Madonna mit ironischem Grinsen und frechem Mundwerk. Und dieses Glücksversprechen ist, dies ist der entscheidende Gedanke, zutiefst antibürgerlich und subversiv.
    Aber genau dieses Liebäugeln mit dem "Anti-bürgerlichen" gehört zum besseren Bürgertum dazu. Der Bohémien ist immer ein entlaufener Bürgersohn. Daher die geheime oder auch offene Sympathie für ihn. Lies mal Thomas Mann dazu, den Großadvokaten des Großbürgertums!


    Und zum Schluß: was könnte bürgerlicher (im besten Sinne) sein, als daß wir hier in einem Fan-Forum kluge, kulturkritische Diskussionen miteinander pflegen?
    Prost darauf!

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    Standard AW: LML ist nicht die Ikone der Bürgerlichkeit

    Zitat Zitat von juppmartinelli Beitrag anzeigen
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    Wenn das Bürgertum LML liebt, dann nicht deswegen, weil sie genauso ist, wie es selbst, sondern weil es sich heimlich danach sehnt, ganz anders zu sein, als es ist.
    prägnanter lässt sich das nicht mehr formulieren. 14 points!

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