blaufink
02.03.2019, 15:41
Vorgestern sah ich Laurie Anderson in der Elbphilharmonie – fast zwanzig Jahre nach meinem letzten Besuch eines ihrer Konzerte. Ich vermute, dass sie nicht jeder kennt, daher mal ein paar Worte zur Person: Laurie Anderson studierte Anfang der 70er-Jahre Kunstgeschichte und Bildende Kunst. In den 70er- und frühen 80er-Jahren widmete sie sich der Performance-Kunst, die sie in New Yorker Galerien präsentierte. Ihr Interesse galt auch der Elektroakustik und so griff sie zu Lötkolben und anderen Werkzeugen, um sich skurrile Musikinstrumente selbst zu erstellen. Beispielsweise baute sie ihre Violine um: Anstelle des Roßhaarbezugs spannte sie ein Stück bespieltes Tonband in den Streichbogen und an die Stelle der Saiten montierte sie einen Wiedergabetonkopf. Mit dem Instrument kommunizierte sie nun, indem sie Fragmente mit verschiedenen Geschwindigkeiten abspielte (https://www.youtube.com/watch?v=IRGjtMZzCYo) und so verständliche und unverständliche Sprachfragmente hervorbrachte. Oft nahm Laurie Anderson die sozialen Beziehungen und die Kommunikation innerhalb des amerikanischen Großstadtlebens aufs Korn. Bis heute erzählt sie kleine (erfundene oder wahre – man weiß es nicht genau) Geschichten zwischen den Songs, und das mit einem (ich weiß, das klingt wie ein Widerspruch) erfrischenden staubtrockenen Humor. In den 80er- und 90er-Jahren bewegte sich Laurie Anderson immer mehr von der Performance-Kunst in Richtung auf die populäre Musik (https://www.youtube.com/watch?v=hOmE_6nN3Zs) zu. Aktuell (ich weiß nicht, ab wann genau) spielen Improvisation und jazzige Elemente in ihrer Musik eine größere Rolle.
In der vergangenen Woche gehörte die Elbphilharmonie von Montag bis Donnerstag nur Laurie Anderson. Es gab mehr als zehn Veranstaltungen mit Werken von ihr und zum Teil auch mit ihr an verschiedenen Orten in dem Haus. Ich konnte auch Zeitgründen nur am Donnerstag Abend dabei sein (zeitfressender Job seit längerem). Zuerst spielte das Ensemble Resonanz im Foyer der Elbphilharmonie das Streichquartett „Sol“, eine Hommage von Laurie Anderson an den Konzeptkünstler Sol LeWitt. Dann um 20:00 Uhr begann im Großen Saal das Konzert „Here Comes The Ocean“ mit Laurie Anderson (Sprechstimme, Gesang und E-Violine) sowie sechs begleitenden Musikern. Das Konzert startete mit dem tibetanischen Musiker Tenzin Choegyal, der an exponierter Stelle zwei Stockwerke über der Bühne zum sonoren Klang eines exotischen Streichinstrumentes etwas Tibetanisches (vermute ich) vortrug. Mittig im Raum des Saales drehte sich eine Art riesige Diskokugel, die, von drei Scheinwerfern angestrahlt, unzählige Lichtflecke in alle Richtungen warf. Dann erschien Laurie Anderson mit den Rest des Ensembles unten auf der Bühne. Sie berichtete, der Hurrikan Sandy habe 2012 den Keller ihres New Yorker Ateliers überflutet und dabei ihr gesamtes Archiv und die vielen Requisiten ihrer früheren Performances vernichtet. Mit Galgenhumor meinte sie anschließend, zumindest brauche sie nun nicht mehr aufzuräumen. Um Wasser kreiste das Konzert inhaltlich und musikalisch. Zweimal wurde es sehr laut, als das Ensemble mit ihren Instrumenten die Gewalt des Ozeans kontinuierlich steigernd nachempfand, bis einem mulmig zumute wurde.
Zu Ehren von Yoko Ono, die im Februar ihren 86. Geburtstag feierte, forderte Laurie Anderson das Publikum auf, 10 Sekunden laut zu schreien (eine Anspielung auf eine frühe Performance von Yoko Ono, bei der sie eine Minute schrie). Die 2000 Besucher gehorchten und während Laurie zufrieden lächelnd mit den Fingern die zehn Sekunden herab zählte, war der große Saal der Elbphilharmonie von einem atemberaubenden Schall gefüllt, den er wohl so schnell nicht wieder erleben wird. (Man muss bedenken, dass der Saal akustisch so sensibel ist, dass man bei Stille in der Entfernung eine Stecknadel fallen hört.)
Einige Male ging es auch um Laurie Andersons verstorbenen Ehemann Lou Reed (1964 zusammen mit John Cale Gründungsmitglied von The Velvet Underground). Der war nicht nur Musiker, sondern auch Tai-Chi-Meister und brachte Laurie Anderson diese Kampfkunst bei. Zum Beweis führte sie einige Bewegungen vor und beschrieb, was die Gesten ausdrücken. Ganz ohne tiefdunklen Humor lief aber auch das nicht ab. Sie führte eine besonders elegant-geschmeidige Bewegung vor und fragte, ob jemand wüsste, was sie bedeute. Nach kurzer Pause sagte sie trocken: „Decapitation“ (Enthauptung).
Ein bisschen früh, bereits nach einer Stunde und fünfzehn Minuten endete das Konzert. Der Applaus aber wollte nicht enden und so mussten die Künstlerin und ihre Musiker noch dreimal auf der Bühne erscheinen, um sich für den Beifall zu bedanken. Eine Zugabe war leider nicht vorgesehen.
Hier ein paar Impressionen: https://www.irista.com/gallery/gt8veeav77vm
(Irista hat das Portal mal wieder verschlimmbessert. Man muss nun einmal auf das Foto klicken, damit die Metadaten verschwinden. Außerdem ist die Vergrößerungsfunktion entfernt worden. Warum können Programmierer von einer wunderbar minimalistisch-gradlinigen Lösung nicht einfach mal die Finger lassen?)
In der vergangenen Woche gehörte die Elbphilharmonie von Montag bis Donnerstag nur Laurie Anderson. Es gab mehr als zehn Veranstaltungen mit Werken von ihr und zum Teil auch mit ihr an verschiedenen Orten in dem Haus. Ich konnte auch Zeitgründen nur am Donnerstag Abend dabei sein (zeitfressender Job seit längerem). Zuerst spielte das Ensemble Resonanz im Foyer der Elbphilharmonie das Streichquartett „Sol“, eine Hommage von Laurie Anderson an den Konzeptkünstler Sol LeWitt. Dann um 20:00 Uhr begann im Großen Saal das Konzert „Here Comes The Ocean“ mit Laurie Anderson (Sprechstimme, Gesang und E-Violine) sowie sechs begleitenden Musikern. Das Konzert startete mit dem tibetanischen Musiker Tenzin Choegyal, der an exponierter Stelle zwei Stockwerke über der Bühne zum sonoren Klang eines exotischen Streichinstrumentes etwas Tibetanisches (vermute ich) vortrug. Mittig im Raum des Saales drehte sich eine Art riesige Diskokugel, die, von drei Scheinwerfern angestrahlt, unzählige Lichtflecke in alle Richtungen warf. Dann erschien Laurie Anderson mit den Rest des Ensembles unten auf der Bühne. Sie berichtete, der Hurrikan Sandy habe 2012 den Keller ihres New Yorker Ateliers überflutet und dabei ihr gesamtes Archiv und die vielen Requisiten ihrer früheren Performances vernichtet. Mit Galgenhumor meinte sie anschließend, zumindest brauche sie nun nicht mehr aufzuräumen. Um Wasser kreiste das Konzert inhaltlich und musikalisch. Zweimal wurde es sehr laut, als das Ensemble mit ihren Instrumenten die Gewalt des Ozeans kontinuierlich steigernd nachempfand, bis einem mulmig zumute wurde.
Zu Ehren von Yoko Ono, die im Februar ihren 86. Geburtstag feierte, forderte Laurie Anderson das Publikum auf, 10 Sekunden laut zu schreien (eine Anspielung auf eine frühe Performance von Yoko Ono, bei der sie eine Minute schrie). Die 2000 Besucher gehorchten und während Laurie zufrieden lächelnd mit den Fingern die zehn Sekunden herab zählte, war der große Saal der Elbphilharmonie von einem atemberaubenden Schall gefüllt, den er wohl so schnell nicht wieder erleben wird. (Man muss bedenken, dass der Saal akustisch so sensibel ist, dass man bei Stille in der Entfernung eine Stecknadel fallen hört.)
Einige Male ging es auch um Laurie Andersons verstorbenen Ehemann Lou Reed (1964 zusammen mit John Cale Gründungsmitglied von The Velvet Underground). Der war nicht nur Musiker, sondern auch Tai-Chi-Meister und brachte Laurie Anderson diese Kampfkunst bei. Zum Beweis führte sie einige Bewegungen vor und beschrieb, was die Gesten ausdrücken. Ganz ohne tiefdunklen Humor lief aber auch das nicht ab. Sie führte eine besonders elegant-geschmeidige Bewegung vor und fragte, ob jemand wüsste, was sie bedeute. Nach kurzer Pause sagte sie trocken: „Decapitation“ (Enthauptung).
Ein bisschen früh, bereits nach einer Stunde und fünfzehn Minuten endete das Konzert. Der Applaus aber wollte nicht enden und so mussten die Künstlerin und ihre Musiker noch dreimal auf der Bühne erscheinen, um sich für den Beifall zu bedanken. Eine Zugabe war leider nicht vorgesehen.
Hier ein paar Impressionen: https://www.irista.com/gallery/gt8veeav77vm
(Irista hat das Portal mal wieder verschlimmbessert. Man muss nun einmal auf das Foto klicken, damit die Metadaten verschwinden. Außerdem ist die Vergrößerungsfunktion entfernt worden. Warum können Programmierer von einer wunderbar minimalistisch-gradlinigen Lösung nicht einfach mal die Finger lassen?)