MEIER MAULT
Sing, sing
VON BERND MEIER
Wenn ich abends den Fernsehapparat einschalte, dann weiß ich eines vorher: Irgendwo wird gesungen. Und das nicht zu knapp. Gleich nach der Tagesschau geht es auf irgendeinem Kanal los, und keiner macht es unter zweieinhalb Stunden. So viele singende Menschen wie in diesen Wochen waren im deutschen Fernsehen das letzte Mal zu sehen, als Gotthilf Fischer seine Chöre zusammenpferchte wie Hühner in einer Legebatterie. Wenn man knapp zusammenfassen will, wofür das alles gut sein soll, dann könnte man sagen: „Deutschland sucht the Voice für Baku". Im einzelnen: Mittwochs lässt bei RTL das Trio Bohlen antreten, donnerstags testen Raab & Co. bei Pro7 die Kandidaten für den Grand Prix, freitags lassen Nena und ihre Kollegen in Sat1 vorsingen, und sonnabends ist wieder Bohlen-Zeit. Man muss aufpassen, dass man da nicht durcheinander kommt. Das Motto in diesen Wettbewerben heißt neuerdings: Seid arg nett zueinander! Dieter Bohlen versucht zwar immer noch, mit seinen Sprüchen dem Image als Rüpel gerecht zu werden, lässt es aber auch schon mal richtig menscheln. Die Juroren der anderen Casting-Shows sind ohnehin bemüht, mit jeder Sendung das Prädikat „Zwischenmenschlich wertvoll!" zu erwerben. Leider wird dabei mächtig dick aufgetragen. Ein freundlich-kritischer Umgang mit den Kandidaten ist ja löblich, aber was da an Süßholz geraspelt wird, das ist mitunter schon peinlich. Besonders peinlich ist es, wenn die Realität den Raspler schnell Lügen straft. Xavier Naidoo lobt einen jungen Burschen, er sei „vermutlich der beste Sänger des Universums" - nach der zweiten Runde aber ist der Junge raus. „A star is born" jubelt Thomas D. eine Kandidatin für die Europameisterschaft in Baku hoch. Ob sie ins Finale gelangt, muss sich erst noch zeigen.
Es ist aber auch schon mal vorgekommen, dass ein Juror große Worte fand und dann in eindrucksvoller Weise bestätigt wurde. Das war vor zwei Jahren. „Du hast Starappeal", sagte Marius Müller-Westernhagen damals zu einem schmalen, etwas schüchtern wirkenden jungen Mädchen, das zum ersten Mal vor einem großen Publikum sang, „die Menschen werden dich lieben". Das Mädchen hieß Lena Meyer-Landrut.