Es war eine gute Show, diese Echo-Verleihung am 22. März 2012. Viel Musik, wenig Reden, kaum Längen, nur die Moderationstexte ließen Ina Müller und Barbara Schöneberger weit hinter ihren Möglichkeiten zurückstehen.
Und obwohl die Älteren den Großteil der Preise abräumten zeigte die Show eine tolle Bandbreite der deutschen Popmusik, bei der die Jungen bei weitem nicht zu kurz kamen und bei der die internationalen Musiker nicht überrepräsentiert waren.

Nur Lena hat keinen Echo gewonnen. Ein Grund zur Trauer? Keinesfalls!

Wir haben eine Lena gesehen, die gut gelaunt über den lila Teppich wandelte, die wieder für schöne Bilder sorgte und die einen ebenso professionellen wie sympathisch gewitzten Kurzauftritt mit der Echoverleihung an den Newcomer des Jahres hinlegte.
Tim Bendzko sagte zuvor treffend, dass der Newcomer-Echo ein ganz besonderer ist, weil man ihn nur einmal im Leben erhalten kann. Lena besitzt genau diesen einmaligen Echo.

Natürlich wäre es aus Fansicht schön gewesen, wenn es mit dem „Taken-By-A-Stranger“-Video geklappt hätte. Es ist ein gutes Video. Und der Echo-Gewinn hätte eine deutliche Aussage über Lenas Fanbase getroffen. Aber Sido hat Recht. Trotz seines und Bushidos großkotzigen Auftretens stimmt es, dass das Video von „So mach ich es“ aufwendig produziert wurde, eine eigene Handlung besitzt und wirklich etwas Besonderes ist.
Deshalb ist es richtig, dass 23 den Echo für das beste Video verdient gewonnen haben!
Und vielleicht führt es dazu, dass Künstler, Produzenten und Plattenfirmen, wieder mutiger in ihre Videoproduktion einsteigen.

Und der Echo für die nationale Künstlerin? Bei den Verkaufszahlen war es sehr eng zwischen „Good News“ und „Das wär dein Lied gewesen“. Also muss die ominöse Jury den Ausschlag gegeben und sich für Ina Müller ausgesprochen haben. Natürlich war Lena enttäuscht, natürlich sind viele ihrer Fans enttäuscht. Aber gibt es wirklich einen Grund zur Enttäuschung?
Beim Echo 2011 sagte die unterlegene Ina Müller zu Lena „... Du hast ihn verdient, Du bist ganz toll!“
Das waren ehrliche Worte und sie waren ebenso toll!
Dass zwei Frauen mit so unterschiedlichen Künstlerbiografien wie diese beiden sich so gut verstehen, ist alles andere als selbstverständlich.
Hier der junge aus einem Casting entsprungene Shooting-Star, der mit maximaler medialer Unterstützung Charterfolge feierte, den Kantersieg beim Songcontest hinlegte, dem Land einen der glücklichsten Momente des Jahres 2010 schenkte und aus dem Stand die größten Hallen des Landes bespielte.
Dort die mittelalte Sängerin, die sich ihre Karriere über Jahre erarbeitet hat, jetzt erfolgreiche Alben herausbringt, Menschen landesweit in Konzertsälen und Arenen begeistert und kleine und feine Fernsehsendungen macht – und der ein wichtiger Musikpreis von so einem Springinsfeld vor der Nase weggeschnappt wurde.
Da wäre es nicht ungewöhnlich, wenn bei der Älteren Neidgefühle entstünden.
Aber Ina Müller hat Lena immer unterstützt und ihr gegenüber ganz viel Anerkennung ausgedrückt. Wie viele Popmusiker hat sie bisher in ihre Sendung als Gast und nicht nur als Musiker eingeladen? Und wie viele davon waren gerade mal 20 Jahre alt? Ina und Lena haben zusammen tolle Unterhaltung gemacht: gemeinsames „Eisrutschen“ bei 2010-Das Quiz, die Eurovisionssendung mit Frank Plasberg, das Gerangel um den Echo 2011, „What A Man“ in Inas Nacht…
Ina Müller ist eine Vollblutkünstlerin, die auch mit ihrer Musik ganz viele Menschen erreicht und bewegt. Manchmal ist es auch gut, einen Preis nicht zu gewinnen. Und es muss nicht immer die Gleiche denselben Preis gewinnen – die Wertschätzung muss ausgeglichen sein.
Es ist richtig, dass Ina Müller den Echo 2012 als nationale Künstlerin gewonnen hat!
Und es ist an der Zeit, dieses Jahr zu sagen: „Ina, du bist ganz toll!“
Und man kann sagen: Den Echo 2011 und 2012 als nationale Künstlerin haben zwei ganz tolle Frauen gewonnen!

Es gibt nicht viele außergewöhnliche Künstlerinnen, die die Deutsche Unterhaltungsbranche mit ihren Persönlichkeiten prägen, die dabei professionell, schräg und zugleich auch herzlich sind. Es sind solche Frauen wie Anke Engelke, Ina Müller und Barbara Schöneberger, die nicht glattgespült und stromlinienförmig sind, sondern Ecken und Kanten haben und diese zeigen. Auch Lena Meyer-Landrut verkörpert diese Eigenschaften in ihrer Ausdrucksform von Kunst und Unterhaltung. Sie hat zu diesen Dreien in ganz kurzer Zeit gute Kontakte geknüpft. Und sie bringt das Potential mit, auf ihre ganz eigene künstlerisch Art und Weise in deren Fußstampfen zu treten.

Lena hat also keinen Echo gewonnen. Ist das wichtig?
Nein, viel wichtiger ist, dass Normalität eingekehrt ist. Dass sie nicht mehr der Casting-Star ist, dass sie nicht mehr die Eurovisions-Lena ist, sondern dass sie ganz einfach dazugehört zum Musikzirkus. Dass sie Aufmerksamkeit genießt, aber auch eine ganz normale Künstlerkarriere leben kann.
Und was gehört zu einer ganz normalen Künstlerkarriere? Dass man nur dann Erfolg haben wird, wenn man einerseits bekannt ist, andererseits aber auch gut ist. Wenn das nächste Album gut ist. Und wenn die Liveauftritte gut sind. Und wenn man gute Unterhaltung bietet.
Die letzte Woche hat gezeigt, dass die Aufmerksamkeit gegenüber Lena ungebrochen ist. Gibt es irgendwelche Gründe, daran zu zweifeln, dass ihr neues Album nicht gut wird? Dass ihre künstlerische Leistung nicht noch besser wird? Dass sie ihr Unterhaltungstalent nicht noch weiter ausbaut?

Ich mache mir keine Sorgen!
Es war nicht die letzte Echo-Verleihung der deutschen Musikgeschichte.
Was für ein schöner Donnerstag!