
Zitat von
esiststeffen
Das sehe ich dann doch etwas anders. Die Leistungen eines Formel-1-Weltmeisters werden ja nicht dadurch größer oder kleiner, ob der außerhalb des Rennwagens ein Großkotz oder ein netter Typ ist. Und bei Musikern würde ich es ganz einfach mal davon abhängig machen, ob ihm/ihr es eben gelingt, Musik zu schaffen, die die Jahrzehnte überdauert. Insofern sehe ich dieses Potenzial bei Helene Fischer (mit ihrem bisherigen Oeuvre) übrigens tatsächlich noch nicht. Mit ihrer Persönlichkeit hat das aber für mich nur bedingt zu tun. Sollte Helene es morgen schaffen, musikalisch einen absoluten Evergreen herauszubringen, dann wäre das was ganz anderes. Um mal dein Beispiel Elvis Presley rauszugreifen (oder setzen wir ihm noch die Beatles an die Seite, die ich als Nachgeborener in Sachen Starruhm, der auch bis heute nachwirkt, Elvis als mindestens ebenbürtig ansehe): Heute behauptet sicher niemand mehr, dass Elvis oder die Beatles Negermusik machen. Wer heute 20 oder 30 oder 40 Jahre alt ist, kennt doch diese Musik von klein auf; selbst die Eltern (und zumindest im Fall der 20-jährigen vielleicht sogar schon die Großeltern) haben sie schon gehört. Im Verhältnis zu vielen heutigen Bands wirken Musik und Auftreten der Beatles (zumindest in den Anfangsjahren) sogar ungeheuer brav. Aber trotzdem gibt es noch heute massig Menschen, die sich für die Beatles interessieren, obwohl sie zum Teil Jahrzehnte nach deren Auflösung geboren sind. Und ich vermute eben, das liegt nicht daran, ob man diese Künstler nun besonders polarisierend empfindet, sondern daran, dass einem schlicht und ergreifend die Musik gefällt.
Die erste Persönlichkeit, die mir immer wieder einfällt, wenn ich über die postume Vergänglichkeit von Ruhm nachdenke, ist Rudolph Moshammer. Zu Lebzeiten kannte den jedes Kind, und wohl fast jeder hätte sofort ein Bild mit allerlei Klischees vor sich gehabt; aber frag mal heute (neun Jahre nach seinem Tod) einen beliebigen Teenager, was er noch mit diesem Namen verbindet. Vermutlich nicht mehr allzuviel – und das obwohl er zu Lebzeiten eine schillernde und umstrittene und sicher auch von vielen angefeindete Person war. Und zwar aus dem Grund, weil er seinen Ruhm eben nicht der Fähigkeit verdankte, unfassbar tolle und unvergessliche Mode zu machen, sondern vor allem seiner Tätigkeit als Selbstdarsteller.
Und auch wenn wir uns auf Musiker beschränken wollen, so waren diejenigen Künstler, die in Deutschland im Jahrzehnt vor Lena für die meisten Schlagzeilen gesorgt haben, aber auch den meisten Anfeindungen ausgesetzt waren, Daniel Küblböck und Tokio Hotel. Da frag ich dich doch mal ganz direkt: Was wird von diesen beiden in zwanzig Jahren geblieben sein? Wer wird sich an sie noch schwärmerisch erinnern, wie man sich heute an Elvis oder an die Beatles erinnert?
Und genau das ist doch der Punkt, der für mich persönlich zu einem guten Teil die Faszination Lena ausmacht – jene Faszination, die ich damals im Jahr 2012 durch diesen Thread versucht hab in Worte zu kleiden: Dass es bei ihr eben auch noch eine Ebene gibt, die nichts mit möglichst großer Medienaufmerksamkeit und Schlagzeilenträchtigkeit und Polarisationsfähigkeit zu tun hat (mögen diese nun bewusst oder unbewusst herbeigeführt worden sein). Sondern schlicht und ergreifend mit ihrer Fähigkeit, gute, zeitlose Musik zu erzeugen. Erst diese Fähigkeit ermöglicht es ihr doch, auch von jenen respektiert zu werden, die sie als Person vielleicht nicht unbedingt mögen. Und genau das ist es doch, was die Grundkonstituente meines persönlichen Verhältnisses zu Lena darstellt: Ich respektiere sie, und zwar ganz gehörig, auch wenn ich sie nicht anhimmle. Und das ist eben nicht zuletzt auch darauf zurückzuführen, dass mir das Stardust-Album (zu meiner eigenen Überraschung, wie ich ausdrücklich betone) wirklich ganz ausnehmend gut gefallen hat. Ein Album, das man sich gerne anhört, und das auch ganz unabhängig von der Person Lena. Genau dieses Album (dem hoffentlich noch viele weitere folgen werden) zeigt doch erst so richtig, dass Lena eben kein kurzfristiges Medienphänomen à la Küblböck ist. Und ich glaube sogar, dass es vor allem das ist, was Lena sich wünscht: nicht Anbetung als Star, sondern Respekt und Anerkennung als Künstlerin.