Es ist schon so viel darüber geschrieben worden, auch von mir. Aber es ist mir ein Bedürfnis, meine Gefühle von damals noch einmal niederzuschreiben. Vor allem deshalb, weil mir dieser Tag noch so unglaublich gut in Erinnerung ist. Ich schildere es auch wirklich so, wie ich es damals empfunden habe, ich dichte nichts dazu.
Es war ein recht erignisreicher Tag. Wir hatten in der Firma eine wichtige Präsentation, die gut verlaufen war. Am Abend war ich ziemlich geschafft, und wollte nur ein wenig fernsehen. Jetzt ist Dienstag nicht der ganz tolle Fernsehtag, deshalb habe ich etwas lustlos in die TV-Zeitung geschaut. Und da sah ich es, "Unser Star für Oslo". Ach ja, sagte ich mir, da kann man mal reinschauen. Ich hatte gehört, dass Raab sich der Sache angenommen hatte und ein Casting mit jungen, unbekannten Künstlern veranstalten wollte. Ich hatte auch von der nationalen Aufgabe gehört. Jetzt war ich nie der große Raab-Fan aber in musikalischen Dingen hielt ich ihn für kompetent.
Den ESC hatte ich mir immer gerne angeschaut. Nicht, dass ich ihm je entgegengefiebert hätte, aber es war immer ein gewaltiges Event, mit viel guter und auch sehr viel schlechter Musik. Aber es war immer beindruckend, schrill und riesengroß. Nur aus deutscher Sicht wurde es spätestens bei der Punktevergabe immer sehr traurig. Zumindest in den letzten Jahren war das immer so.
Ich schaute mir diese Sendung also einigermaßen interessiert an. Und sie gefiel mir. Gute Moderatoren, gute Kandidaten und eine Jury, deren Bewertung an der musikalischen Qualität ausgerichtet war, es wurde sachlich gelobt und auch kritisiert. Ich hatte immer so mein Problem mit Castingshows, aber diese hier gefiel mir, ich fühlte mich bestens unterhalten. Mir war natürlich vollkommen egal, wer da letzten Endes nach Oslo fahren würde.
Aber je länger die Sendung dauerte, desto größer wurden meine Zweifel, ob dieses Konzept von Erfolg gekrönt sein würde. Der ganze Aufwand wurde ja betrieben, um mal wieder einen guten Platz zu erreichen. Die Kandidaten waren zwar gut, waren meiner Meinung nach aber weit davon entfernt, in Oslo etwas zu reißen. Denn um bei diesem Megaevent, bei dem alle Nationen einen Riesenaufwand betreiben, erfolgreich zu sein, muss es etwas ganz Besonderes sein. Man muss auffallen und den Menschen in Erinnerung bleiben. Es reicht kein Künstler, den man zwar gut findet, den man aber spätestens dann, wenn der nächste auf der Bühne steht, schon wieder vergessen hat.
Und ich sah niemanden, der das erfüllen könnte. Dann kam die Startnummer Neun. Schwarzbach hieß er glaube ich. Ein guter und sympathischer Sänger, wohl auch Berufsmusiker, aber irgendwie ziemlich langweilig. Solche Leute kann man doch nicht nach Oslo schicken, da schläft das Publikum ja ein. So waren meine Gedanken.
Und auch ich wurde etwas schläfrig, der anstrengende Tag forderte jetzt seinen Tribut. Aber ich wollte noch mitbekommen, wer jetzt weiterkommt und wer ausscheidet. Also wartete ich noch geduldig auf die Startnummer Zehn.
Aha, eine Schülerin, die soll uns jetzt aus dem ESC-Tief herausholen, dachte ich etwas belustigt. Daran erinnere ich mich noch genau. Anschließend wurde die MAZ abgefahren und dann sah ich sie. Mein erster Gedanke war, "oh die ist aber hübsch". Und irgendwie faszinierte mich dieses Mädchen auf Anhieb. Sie schein so voller Lebenfreude zu stecken und man meinte, jeden Augenblick platzt sie vor Lachen. Und ihr Spruch mit dem "freudig erregt" gefiel mir richtig gut. Dann kam sie ein wenig zappelig auf die Bühne gelaufen. Und sie begann.
Ich konnte es nicht fassen. Aus dem Mädchen wurde ein Vamp. Und was war das für ein Auftritt? Ich war plötzlich hellwach. So etwas in einer Castingshow, das gibt es doch nicht. Spinne ich jetzt, habe ich Wahrnehmungsstörungen oder ist die wirklich so gut? Und dann der Applaus, der gar nicht aufhören wollte. Die Jury wurde währenddessen kurz eingeblendet und die haben sich überhaupt nicht mehr eingekriegt. Das war auf einmal eine ganz andere Sendung. Und dann das Juryurteil, angefangen bei Raab, der total geflasht war, über Yvonne Catterfeld, die Lena knutschen wollte bis hin zu Westernhagen, bei dessen Worten "Du hast Starappeal, Menschen werden dich lieben" ich eine richtige Gänsehaut bekam. Ich spürte es sofort, hier ist gerade etwas ganz Besonderes geschehen. Für mich war sofort klar, DIE MUSS NACH OLSO, auch wenn ich noch gar nicht wusste, ob sie auch andere Lieder singen kann, ober bei solch einem Megaevent wie dem ESC einen Nervenzusammenbruch bekommen würde. Denn sie war ja ein absoluter Neuling, eine Schülerin, die nur zwei Mal auf der Bühne gestanden hat. Und als sie dann mit Matthias zu ihrem Sessel ging und beide über ihre ESC-Teilnahme spekulierten, war ich endgültig hin und weg. Ich dachte, was ist denn jetzt plötzlich los mit mir, das gibt es doch nicht. Ich kannte mich selber nicht mehr wieder. Und als Lena im Sessel sitzend sagte "ich würde innerlich ausrasten", dachte ich mir "oh Mann, wäre das schön, wenn sie es nach Oslo schaffen würde". An einen Sieg beim ESC wollte man noch gar nicht denken, aber die könnte den Laden aufmischen. Auf jeden Fall waren mir von da an alle anderen Kandidaten egal. Ich hatte aber auch die Befürchtung, dass zum Schluss doch ein etwas routinierterer aber langweiliger Durchschnittskandidat gewinnen wird. Aber es kam zum Glück alles ganz anders und als Lena sich "so hart" über das Weiterkommen gefreut hat, habe ich mich darüber mindestens genauso gefreut. Damals wusste ich es noch nicht so richtig, aber dieser Tag hat mein Leben nachhaltig verändert.
Geändert von Kölscher Jung (02.02.2012 um 17:05 Uhr)